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Geowissen

Lehrmeinung zum Kalmengürtel widerlegt

Wetterdaten liefern neue Erklärung für die Ursache der berüchtigten Flautenzone am Äquator

innertropische Konvergenzzone
Das Wolkenband über dem Äquator markiert den berüchtigten Kalmengürtel, den Bereich, in dem es auf See oft zu tagelangen Flauten kommt. Doch was verursacht sie? © NASA

Auf den Kopf gestellt: Gängiger Lehrmeinung zufolge entsteht die bei Seeleuten berüchtigte Flautenzone am Äquator durch aufsteigende Luftmassen. Doch neue Messdaten und Analysen widerlegen dies nun. Demnach ist das Gegenteil der Fall: Absinkende und dabei polwärts wegströmende Luftmassen verursachen die windarmen Phasen im Kalmengürtel der innertropischen Konvergenzzone (ITCZ), wie eine Forscherin im Fachjournal „Geophysical Research Letters“ berichtet.

Der Kalmengürtel am Äquator, im Englischen auch als die „Doldrums“ bekannt, ist in der Seefahrt seit Jahrhunderten berüchtigt. Denn in diesem Meeresgebiet zwischen zehn Grad nördlicher und südlicher Breite herrschten oft Tage bis Wochen anhaltende Flauten – Segelschiffe kamen nicht vom Fleck. Bei brütender Hitze litten die Seeleute dabei oft Hunger und Durst, weil sie ihre Vorräte aufgezehrt hatten.

Der Dichter Samuel Taylor Coleridge verewigte die berüchtigte Flautenzone 1834 in seinem Gedicht „The Rime of the Ancient Mariner“ so:
Wir lagen Tage, Tage lang;
Kein Lüftchen rings umher!
Wie ein gemaltes Schiff, so träg,
Auf einem gemalten Meer.

Kalmengürtel
Die traditionelle Erklärung für die Flauten: Zusammenströmende und über dem Äquator aufsteigende Luftmassen erzeugen ein windarmes Tiefdruckgebiet. © American Geophysical Union

Lücken im gängigen Modell

Doch was verursacht diese äquatorialen Flauten? Bekannt ist, dass dieser Kalmengürtel ein Teil der innertropischen Konvergenzzone (ITCZ) ist – einer äquatorialen Tiefdruckrinne, in der die Passatwinde der Nords- und Südhalbkugel aufeinander treffen. Diese konvergierenden Luftmassen transportieren Wärme und Feuchtigkeit in den Äquatorbereich und steigen dort auf. Dadurch bildet sich auf Meereshöhe in dieser Konvergenzzone eine windarme Region – so die seit rund 100 Jahren gängige Lehrmeinung.

Das Problem jedoch: Versucht man, die häufigen Flauten in Modellen nachzubilden, gelingt dies nur bedingt: „Die Aufwärts-Zirkulation funktioniert nicht für die kurzen Zeitskalen und die große Fläche der windstillen Gebiete“, erklärt Julia Windmiller vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. „Aber weil wir den Kalmengürtel heute fast vergessen haben, hat sich niemand die Mühe gemacht, diese Lücke in der alten Theorie zu überprüfen.“

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Flauten liegen zwischen den regenreichen Aufstiegsphasen

Das hat Windmiller nun nachgeholt. „Wir haben den Kalmengürtel und seine Tag-zu-Tag-Veränderungen erneut untersucht und konzentrieren uns dabei auf die charakteristischen Flauten und wie diese mit der Konvergenz zusammenhängen“, erklärt die Forscherin. Dafür analysierte sie Wetterdaten und Daten von Messbojen im äquatorialen Atlantik der letzten rund 20 Jahre, teilweise mit bis zu minütlicher zeitlicher Auflösung. Mithilfe eines Modells rekonstruierte Windmiller dann, wie sich die Luftmassen während der Flauten verhalten.

neue Erklärung
Die neue Erklärung: Phasen absinkender, trockener Luftmassen erzeugen die Flauten. © American Geophysical Union

Das Ergebnis: Den Daten zufolge ereignen sich die berüchtigten Flauten des Kalmengürtels vor allem im Zentrum der innertropischen Konvergenzzone. Bei einsetzender Windstille kühlt sich die Luft dort ab und wird trockener, gleichzeitig herrscht klarer Himmel. „Der Beginn der Flauten ist zudem durch das abrupte Aufhören der Niederschläge gekennzeichnet. Sie ereignen sich typischerweise zwischen zwei Regenfällen“, erklärt die Forscherin. Demnach legt sich der Wind immer dann, wenn das Aufsteigen und Abregnen der warmfeuchten Luftmassen nachlässt.

Divergenz statt Konvergenz

Das bedeutet: Anders als seit fast 100 Jahren angenommen, werden die Flauten im Kalmengürtel nicht durch aufsteigende, konvergierende Luftmassen ausgelöst, sondern durch das Gegenteil: Sie ereignen sich in Phasen, in denen Luft aus oberen Schichten absinkt und seitlich abgelenkt wird. Auch dies hat zur Folge, dass am Äquator zwischen diesen Strömungen eine weitgehend windstille Zone entsteht.

„Die meiste Luft in der innertropischen Konvergenzzone strömt abwärts statt aufwärts“, berichtet Windmiller. „Die Flauten sind demnach eher mit Divergenz als Konvergenz verknüpft.“ Damit stellen die neuen Analysen die gängige Lehrbuchmeinung zum Kalmengürtel buchstäblich auf den Kopf: Zwar dominieren in der innertropischen Konvergenzzone die Aufwinde, aber immer wieder gibt es dort auch Phasen, in denen diese nachlassen – und dann absinkende Luft die Flauten auslöst.

„Diese Erklärung ist das genaue Gegenteil dessen, was wir zuvor hatten“, so Windmiller. Warum allerdings mitten in der innertropischen Konvergenzzone immer wieder auch Phasen absinkender Luftmassen auftreten, ist bisher noch nicht abschließend geklärt. (Geophysical Research Letters, 2024; doi: 10.1029/2024GL109460)

Quelle: American Geophysical Union (AGU)

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